Offener Brief an das “üpo”: Barking up the wrong tree
(Disclaimer: Ich repräsentiere nicht den CCC oder seine Organe. Ich bin aber seit Jahren auf dem Congress präsent.)
Lieber Richard Schneider!
Da haben Sie aber ganz schön Wind gemacht. Der CCC als Sklavenherr einer Laienarmee und die studierten Diplomdolmetscher aussen vor! Dabei hätte das Ergebnis doch so viel besser sein können!
Anstatt mich in bester Twitter-Laune zurück zu echauffieren, möchte ich Ihnen anbieten, Ihnen einmal die Hintergründe des Chaos Communication Congresses zu erläutern.
Der Zentrale Punkt: Der CCC und der Congress sind eine non-for-profit Veranstaltung, und leben ausschließlich von Freiwilligen.
Der Congress verfügt bei Weitem nicht über das Budget vieler anderer Fachkonferenzen und tat es auch nie. Das liegt vor allem daran, dass er mit einem klassichen Fachcongress so viel gemein hat wie der Kreis mit dem Rechteck: Es mag Ähnlichkeiten geben, aber Vergleiche halten einer nähren Überprüfung in vielen Aspekten nicht stand. So auch beim Congress (und dem alle vier Jahre stattfindenden Freiluftcamp), wenn man ihn mit klassischen Konferenzen vergleicht. Ja, beide finden in einem Konferenzzentrum statt. Große sogar in Messehallen. Aber: Die CCC-Veranstaltungen entstehen aus mehreren Motivationen heraus, die wenige Kongresse in dieser Größe verfolgen:
1. Erschwinglichkeit: die Veranstaltung soll für so viele Leute zugänglich sein. Es gibt vergünstigte Tickets für CCC-Mitglieder, soziale Härtefälle, sowie subventionierte Aktionen, in denen Kinder im Rahmen des Junghackertages vergünstigt Eintritt erhalten, wobei ein Elternteil ebenfalls kostenfrei dabei ist. Gleichzeitig zahlt jeder Teilnehmer regulär Eintritt, auch wenn er dort als Engel oder in der Orga arbeitet.
2. Unabhängigkeit: Das bedeutet auch den Verzicht auf große Sponsorenlogos oder -stände, die sonst bei Fachmessen lukrative Einnahmen bedeuten. Das reicht jedoch auch bis hin dazu, dass es mit media.ccc.de eine Alternative zu YouTube gibt, damit die Vorträge von CCC-Veranstaltungen nicht von den Launen eines Internet-Giganten abhängig sind. Zudem können hier viel besser Dinge wie mehrere Tonspuren entwickelt und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden. Ein Feature, dass YouTube bis heute im Übrigen nicht bietet.
3. Verfügbarkeit: Die Vorträge sollten möglichst für Jedermann zugänglich sein. Für Leute, die nicht vor Ort sein können, gibt es Streams, Congress Everywhere, und später die fertigen Videos. Allerdings vermitteln diese nur einen Hauch von dem, was der Congress eigentlich ist. Das kann man vielleicht erahnen, wenn man durch die bunte Bildergallerie klickt (die ohne das freiwillig arbeitende Arts&Beauty-Team nicht halb so bunt wäre), aber erfahren kann man es nur vor Ort.
Aber hier der letzte Punkt, der zugleich der Wichtigste ist:
4. Es geht auf dem Congress darum, zusammenzukommen, zu lernen und miteinander Projekte zu gestalten. Und jeder Besucher kann und soll mitmachen. Daher stammen auch die vielen Aufrufe im Blog, aus dem Sie in Ihrem Artikel zitiert haben. So lernen sich Leute kennen, so entstehen Freundschaften. C3lingo ist eines der Projekte, die mit viel Herzblut jedes Jahr mehr leisten. Aus Eigeninitiative. Dabei bereitet sich das Team oft mit Fachvokabularstudium vor allem auf die hochkarätigen Talks vor, oder übersetzt die Spieleshows am abend auf Swizerdütsch.
Aus erster Hand kann ich nur vom Video-Team erzählen (Video Operation Center, VOC). Alleine das VOC hat im Vorfeld mehrere hundert Personenstunden an vorbereitender Arbeit in das Event gesteckt. Das Gleiche gilt noch einmal für die Arbeit vor Ort. Würden wir nicht regulär Eintritt bezahlen, sondern sogar noch den Lohn einer Fachkraft einfordern, so kämen wir alleine für den Bereich Video locker auf eine hohe, sechsstellige Zahl. Das wäre nicht nur finanziell mit einer Truppe aus reinen “Profis” nicht zu machen, es würde uns auch die Möglichkeit nehmen, Dinge unkonventiell anzugehen. Dabei ist viel Software entstanden, die nun auch Andere nutzen können und dies auch tun.
Denn: Nerds lieben es, sich in Themen und Sachgebiete einzuarbeiten. Im Idealfall werden dabei aus ihnen professionelle Amateure, ansonsten war es zumindest eine großartige Erfahrung.
Dies vorausgeschickt glaube ich allerdings die Motivation zu verstehen, mit der Sie diesen Artikel, leider in Unkenntnis obiger Fakten, verfassten. Von Dolmetschern in meinem Bekanntenkreis weiss ich: Dolmetscher unterziehen sich in Deutschland einem sehr umfangreichen Studium. Demgegenüber steht gerade in der freien Wirtschaft eine oft schlechte Auftragslage, denn es mangelt den Auftraggebern oft an der Möglichkeit, eine gute von einer schlechten Übersetzung zu unterscheiden. Da wird dann mal lieber schnell ein Student engagiert, der das aus Sicht des Auftraggebers genausogut kann, aber viel billiger ist.
In der IT ist dieses Problem ebenfalls bekannt. Auch hier wird oft gerade in mittelständischen Firmen “mal eben schnell ein ‘Student’ bezahlt” (und mit etwas Glück hat der auch was auf dem Kasten), anstatt Probleme strukturiert und nachhaltig mit erfahrenen Leuten zu lösen (was in der IT allerdings erfahrungsgemäß nur bedingt mit einer entsprechenden Ausbildung korreliert, sondern mehr mit der Erfahrung).
Sie sehen also, ich kann kann durchaus Verständnis für Ihre Position aufbringen. Allerdings ist dies ein klassischer Fall von “barking up the wrong tree”, wie anglistisch Inklinierte sagen würden. Sie kriegen mit ihrem Artikel bestimmt die Sympathie von Leuten, die weder den CCC noch den Congress genauer kennnen, doch alle Anderen können nur den Kopf schütteln. Daher mein Vorschlag: Kommen Sie doch zum 35c3 vorbei und überzeugen sich selbst.
Mit besten Grüßen,
Daniel Molkentin